Ich möchte in diesem Beitrag zunächst auf ein Unterfangen von mir und eine damit einhergehende Beziehung eingehen, welche mittlerweile seit über einem halben Jahrzehnt andauert und fester Bestandteil meines Lebens und meiner Routine geworden ist: Russisch lernen. Und die Verbindung, die ich über die sechs Jahre des Erlernens einer Fremdsprache zu meiner Reise im Jiu Jitsu für mich erkannt habe.
Bei meiner Lehrerin Evgenija nehme ich seit April 2019 durchgehend einmal die Woche Unterricht und habe die russische Sprache über die Zeit von der Pike auf erlernt. Dabei habe ich das große Glück haben dürfen, von einer Frau unterrichtet zu werden, die ein absoluter Profi in ihrem Handwerk ist. Auch wenn ich noch weit von der fehlerfreien Beherrschung der Sprache entfernt bin und noch viele Jahre des Lernens vor mir habe, konnte ich mir ein solides Niveau erarbeiten. Insbesondere bei meiner ersten Russlandreise im Dezember 2024 habe ich festgestellt, wie gut ich mich auf Russisch verständigen und in Moskau ohne Hilfe von Englisch und Deutsch klarkommen konnte. Einerseits kam dies natürlich durch einen enormen Aufwand meinerseits durch jahrelanges Lernen. Andererseits habe ich wie gesagt das Glück, eine Lehrerin mit einem extrem hohen Unterrichtsniveau und jahrzehntelanger Erfahrung zu haben, die mich sehr konsequent ausbildet.
In vielerlei Hinsicht haben sie und ich sehr ähnliche Herangehensweisen bei unseren jeweiligen Tätigkeiten als Lehrer und sicherlich habe ich mich über die Jahre, während ich als junger angehender Coach meine Entwicklung gemacht habe, von ihr inspirieren lassen. Besonders in puncto Ganzheitlichkeit und Genauigkeit. Vorbilder zu haben, die einen beeindrucken und positiv beeinflussen, ist wichtig. Und kann der Schlüssel zu neuen Welten sein, die einem sonst verschlossen bleiben würden. Aber insbesondere auch Lehrer, die einem komplexe Themen beibringen, deren Sachverhalte man ohne professionellen Unterricht niemals vollständig verstehen könnte, sind meiner Meinung nach unheimlich wichtig.
Russisch ist von der Grammatik her recht ähnlich wie Deutsch. Es gibt (u.a.) die vier bekannten Fälle Nominativ, Genitiv, Dativ und Akkusativ. Man trifft auf Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien. Auf Präpositionen, Personal- und Possessivpronomen. Es wird konjugiert und dekliniert . Der Imperativ und der Konjunktiv kommen zur Anwendung. Und natürlich gilt es, sich haufenweise Ausnahmen und andere Irregularitäten zu merken. Auch wenn mich dies schon das ein oder andere Mal beinahe zur Verzweiflung gebracht hätte, macht die Komplexität und die Schwierigkeit auch einen der Reize aus. Um diese Sprache korrekt zu erlernen und effektiv anwenden zu können, bedarf es logisch aufgebauten Unterrichts und eines Lehrers, welcher über stattliche Erfahrung und ein ausgeklügeltes System verfügt.
Für mich ist Kampfsport, insbesondere Jiu Jitsu, vergleichbar mit dem Erlernen und Anwenden einer Sprache. Natürlich kann man auch ohne grammatikalische Kenntnisse und förmliche Ausbildung einfach anfangen, eine Sprache zu versuchen zu erlernen. Möglicherweise ist man sogar ein Naturtalent und schafft es, sich durch Autodidaktik ein Fertigkeitsniveau anzueignen, mit welchem man sich verständigen kann. Aber man wird (wahrscheinlich) niemals die Sprache im Kern verstanden und mitsamt all ihrer Feinheiten kennengelernt haben. Man wird immer fehlerhaft sprechen und von Muttersprachlern oder korrekt ausgebildeten Fremdsprachlern schnell als Amateur identifiziert werden.
Im Jiu Jitsu hatte ich das große Glück, von zwei hervorragenden Technikern, Ana Yagües und Tony Hesse, ausgebildet worden zu sein. Für etwa vier Jahre besuchte ich als Schüler regelmäßig den Gruppenunterricht meiner beiden Coaches. Ehe ich dann, dank der Vermittlung von Ana, im Oktober 2018 meine erste offizielle Position als Coach in einem befreundeten Gym erhielt, welches ein BJJ-Programm mit ins Angebot nehmen wollte. Dieses sollte ich aufbauen.
Daraufhin – und das ist eine ganz natürliche Entwicklung von vielen angehenden Experten unseres Sportes – nahm meine Teilnahme am Gruppenunterricht deutlich ab. Einerseits, weil ich jetzt eine neue Aufgabe hatte, auf die ich mich konzentrieren wollte. Andererseits aber auch, weil ab einem bestimmten Zeitpunkt – meist so ab spätem Blaugurt / frühem Lilagurt (bzw. nach drei bis vier Jahren Training) – die Teilnahme am regulären Unterricht für einen fortgeschrittenen BJJ-Schüler nicht mehr so sinnvoll ist und das Verhältnis von eingesetzter Zeit und Energie zum Nutzen weniger positiv wird.
Die Grundlage, die mir meine beiden Coaches ermöglicht haben, war hervorragend. Leider ist mir erst sehr spät klar geworden, wie bedeutsam diese war – als ich älter und reifer wurde – und wie dankbar ich dafür heutzutage bin. Denn ohne dieses Fundament hätte ich das, was ich eines Tages erreichen würde, nicht in dieser Form geschafft.
Der Durchbruch kam aber tatsächlich nochmal einige Jahre später: im Rahmen eigenständigen Lernens. Nicht jedoch ohne Lehrer. Das große Glück setzte sich aus folgendem zusammen: nämlich zwei Menschen, die folgendes hatten:
eine große Leidenschaft für Jiu Jitsu, fast schon autismusartig
verdammt viel Zeit, denn beide waren arbeitslos
die besten Instructionals der Welt, von John Danaher und Gordon Ryan
So verbrachten mein Trainings- und Lernpartner Fred und ich innerhalb weniger Monate einen 700-stündigen Zeitraum miteinander und verarbeiteten sämtliches Material, das uns zur Verfügung stand. Sieben Tage die Woche. Nicht selten sogar zweimal täglich. Nie weniger als 90 Minuten pro Einheit. Da kam schnell einiges zusammen. An eingesetzter Zeit. Und angesammeltem Fortschritt. Es war ein wahrer Segen, dass wir beide zum selben Zeitpunkt arbeitslos und zu absolut allem bereit waren, um unseren Fortschritt im Jiu Jitsu zu maximieren.
Ohne diese Zeit wäre IPA möglicherweise niemals entstanden. Zumindest nicht auf dem heutigen Niveau. Denn durch dieses Selbststudium habe ich ein Fachwissen und Verständnis erlangt, welches zum damaligen Zeitpunkt in Hamburg einzigartig war und mir einen Vorsprung gegenüber Mitbewerbern ermöglichte, der schnell von meinen damaligen (und zukünftigen) Schülern bemerkt wurde. Natürlich holte die Konkurrenz irgendwann auf, aber die gemeinsame Zeit mit Fred hatte mir ein riesiges Selbstvertrauen in meine fachliche Qualifikation gegeben. Dadurch habe ich bei der anschließenden Reise stets an meinen Erfolg geglaubt und bin deshalb Risiken eingegangen, die einen massiven Payoff gebracht haben: die Eröffnung der größten BJJ-Akademie Hamburgs am 1. April 2024. Und die Erfüllung meines Lebensziels, das ich mir am 22. Mai 2014 gesetzt hatte.
In Eigenregie zu agieren, ist wichtig und sollte bei der Erreichung eines großen Ziels stets stattfinden. Es ersetzt jedoch niemals einen professionellen Lehrer, der im besten Fall bereits Meister seines Faches ist. Das erwähnte Selbststudium von uns war keinesfalls autodidaktisch. Hätten Fred und mir die Instructionals von John Danaher und Gordon Ryan nicht zur Verfügung gestanden, hätten wir unser Niveau niemals erreicht. Die unheimlich systematische Aufbereitung und effektive Kommunikation der Lehrinhalte waren ausschlaggebend. Die Videomaterialien waren hochgradig akademisch und ermöglichten uns quasi ein Fernstudium, welches wir aufgrund unserer damaligen Arbeitslosigkeit in einem Zeitaufwand betreiben konnten, welcher fast schon absurd war. Keiner trainierte so viel, wie wir. Aber auch keiner hatte (damals) so uneingeschränkten Zugriff auf so fantastisches Material, wie wir.
Für mich waren die Lehrer, die mich in meiner Laufbahn unterrichtet haben, allesamt ausschlaggebend für die Richtung, die ich in meinem Leben eingeschlagen habe. Ohne sie wäre ich niemals zu dem geworden, der ich bin. Hätte ich die Erfahrungen anderer Menschen, die mir in ihren jeweiligen Fachgebieten weit voraus waren, nicht erben dürfen, stünde ich heute nicht an dem Punkt, an dem ich bin. Auch wenn IPA, welches heute seinen ersten Jahrestag in den neuen Räumlichkeiten seit dem Umzug feiert, noch lange nicht da ist, wo ich es gemäß meiner Gesamtvision eines Tages erleben möchte, ist schon verdammt viel erreicht worden. Trotz der Tatsache, dass die letzten zwölf Monate sehr fordernd waren und zeitweise die schwierigste Zeit meines Lebens mit sich brachte, bin ich sehr froh, diesen Schritt gewagt zu haben. Und was ich niemals vergessen werde, ist die auf dieser Reise erkannte und von mir stark wertgeschätzte Bedeutung eines Lehrers.