Eine Woche würde bis zum Vorstellungsgespräch noch vergehen. Gesucht war an einer Stadtteilschule, die zwei Standorte in unmittelbarer Nähe zueinander betreibt, eine Schulbüroleitung. Diese Position hatte neben verwalterischen Aufgaben außerdem die Funktion, den reibungslosen bürokratischen Ablauf der beiden Standorte samt seiner Mitarbeiter sicherzustellen. Was mich besonders reizte. Einer der Gründe, warum ich mich für diese Stelle beworben hatte, war, dass ich eine neue bzw. weitere Herausforderung in meinem Leben suchte. Des Weiteren wollte ich gerne meine durch den Betrieb von IPA erworbenen Berufs- und insbesondere Führungserfahrung der letzten Jahre im „normalen” Berufsleben zur Anwendung bringen und sehen, welchen Weg ich dadurch möglicherweise einschlagen könnte. Eine leitende Stelle an einer sehr großen Schule der Stadt Hamburg war für mich eine überaus interessante Möglichkeit des Einstiegs in eine Welt, in der ich zwar keine großartigen Erfahrungen hatte, meine bereits vorhandenen als Kaufmann, Manager eines kleinen Unternehmens und BJJ-Coach aber treffend zur Anwendung bringen können würde.
Das Gespräch verlief äußerst positiv und war für mich eine bereichernde Erfahrung. Die vier Menschen – der Schulleiter, die stellvertretende Schulleiterin, die Verwaltungsleitung und ein Mitglied des Schulpersonalrats – hatten überaus ansprechende Fragen für mich vorbereitet, und der ursprünglich für 30 Minuten angesetzte Termin wurde fast doppelt so lang und war teilweise sehr fordernd für mich. Ich ging mit einem guten Gefühl heraus und war mir zunächst sicher, dass ich dort gerne arbeiten wollen würde. Auch wenn der Schulleiter erfragt hatte, wie schnell im Falle einer positiven Entscheidung seinerseits meine Bestätigung erfolgen könnte, hatte ich um Bedenkzeit bis zum Ende des Wochenendes – das Gespräch fand an einem Mittwoch statt – gebeten, da ich erfahrungsgemäß weiß, dass ein paar Nächte Schlaf bei einer wichtigen Entscheidung immer gut sind und für beide Parteien sinnvoll wären.
Unmittelbar auf dem Nachhauseweg, während ich mit meinem Fahrrad bei strahlender Sonne wunderschöne Schleichwege und blühende, mit Bächen durchzogene Grünflächen durchfuhr, überkam mich jedoch ein Gefühl des Unbehagens. Das Gespräch hatte bis kurz vor Mittag gedauert. Für den Termin hatte ich mich im Vormittagstraining bei IPA vertreten lassen und mir die Zeit genommen, die für das Gespräch nötig war. Nun stand eine mehrstündige Mittagspause bevor, in der ich zwar einige Büroaufgaben erledigen müssen, jedoch bis 18:00 Uhr frei über meine Zeit verfügen können und mich anschließend dem Erwachsenentraining widmen würde. Wäre ich künftig jedoch an der Schule festangestellt, würde mein Arbeitstag täglich bis 16 Uhr dauern. Fest vorgegeben. Ohne die Freiheit und Flexibilität, die mir meine Selbständigkeit brachte. Ich fing an, mein Vorhaben stark zu überdenken und möchte meine Gedanken in den weiteren Teilen dieses Artikels reflektieren.
Von 2009 bis 2020 befand ich mich im „normalen” Berufsleben. Die ersten gut zwei Jahre davon absolvierte ich eine duale Ausbildung zum Bürokaufmann. Während dieser ging ich zweimal wöchentlich zur Berufsschule und die anderen drei Tage war ich im Betrieb, – einem mittelständischen Unternehmen, das als Architekturbüro für Leit- und Informationssysteme planerische Dienstleistungen anbot und gleichzeitig durch ihre Handwerker und interne Werkstatt den ausführenden Teil im selben Zuge bereitstellte.
Auch wenn mich die Arbeit dort nach kurzer Zeit bereits unterforderte und ich, – das muss ich mir eingestehen – nicht unbedingt durch Eigeninitiative aufgefallen bin und mir beispielsweise andere Eindrücke aus der Grafik-, Vertriebs- und Architekturabteilung geholt habe, bin ich heutzutage sehr dankbar für diese Zeit. Dort erwarb ich grundlegende Fähigkeiten, die ich heute im Rahmen meiner Selbständigkeit tagtäglich zur Anwendung bringe. Alles wie ein kaufmännischer Ablauf sichergestellt wird, lernte ich dort von meiner geschätzten Ausbilderin, welche mich gewissenhaft und gründlich einarbeitete und anschließend größtenteils eigenständig tätig sein ließ. Darüber hinaus erhielt ich viele Einblicke über verschiedenste Zusammenhänge – beispielsweise zwischen Abteilungen, Personal, Buchhaltung, Steuerberatung, externen Dienstleistern und Auftraggebern. Außerdem, – und das ist eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft aus der damaligen Zeit – habe ich durch meine Ausbildung heute eine stets perfekte Übersicht meiner Finanzen und kann zu jedem Zeitpunkt sagen, wo ich wann welchen Euro ausgegeben oder eingenommen habe.
Was ich dort jedoch ebenfalls sehr schnell lernte, ist, dass ich fest definierte achtstündige Arbeitstage für absolut unsinnig halte und nur schwer ertragen kann. Und das sage ich als jemand, der heutzutage nicht selten zwölf und manchmal 14 bis 16 Stunden pro Tag arbeitet. Wenn es nötig sein sollte, versteht sich. Was im Bürogefängnis jedoch nötig war, waren die vertraglich festgelegten acht Stunden. Einfach anwesend zu sein. Nach Plan. Egal, was los war. Und sein wir ehrlich: Mit mindestens einer halben Stunde gesetzlich vorgeschriebener Pause, Hin- und Rückfahrtzeiten und dem Vorbereiten für die und der unmittelbaren Erholung nach der Arbeit, nimmt so ein Tag mindestens zehn, wenn sich sogar bis zu zwölf Stunden in Anspruch. Wenn man dann noch seine sechs bis acht Stunden Schlaf hinzurechnet, bleibt einem da bei einem 24-Stunden-Tag kaum wahre Freizeit. Und das Wochenende geht immer so schnell vorbei, dass man sich gar nicht erholen konnte, ehe schon wieder Sonntagabend ist. Und man dann mit Bauchschmerzen ins Bett geht und am liebsten gar nicht einschlafen möchte, weil dann gleich wieder Montag ist.
Über den Zeitaufwand möchte ich mich aber gar nicht unbedingt beschweren. Wie gesagt, heutzutage arbeite ich ähnlich viel, wenn nicht sogar regelmäßig mehr. Manchmal auch deutlich mehr, manchmal aber auch deutlich weniger. Fakt ist: Wenn ich arbeiten muss, dann arbeite ich. Und wenn ich arbeite, dann arbeite ich wirklich. Aber wenn ich nicht arbeiten muss, dann arbeite ich nicht. Ganz einfach. Wieso auch? Es gibt niemanden, der es mir vorschreibt. Mich kontrolliert oder bestraft, wenn ich es nicht tue. Oder es nicht so tue, wie er es für richtig hält. Ich mache, was ich will. Und was ich mache, ist das, was nötig ist. Aber wie ich es mache? Das ist meine Sache. Und in den Zwischenzeiten, welche bei flexibler Nutzungsmöglichkeit große Freiheiten darstellen, mache ich Dinge, die mir guttun. Ohne mich bei jemandem abzumelden. Nun war ich kurz davor, diese über Jahre hart erkämpfte Freiheit aufzugeben und mich ins klassische Bürogefängnis zurückzubegeben, aus welchem ich vor fünf Jahren erfolgreich ausgebrochen war. Und wofür das alles? Um mir irgendwas zu beweisen? Weil mir gerade langweilig war und ich ein neues Ziel brauchte? Das sich im Hinaufklettern der Karriereleiter im „normalen” Berufsleben äußern sollte?
Ich fing an, intensiv darüber nachzudenken, wie ich meine Tage im Normalfall gestaltete. Auch wenn ich sehr viel arbeite, ist dies vor allem Brutto-Arbeitszeit. Diese geht in der Regel von morgens 7 Uhr bis abends 22 Uhr. Aber meine Netto-Arbeitszeit? Die variiert zeitweise stark und kann im Extremfall wie erwähnt schon mal 14 bis 16 Stunden betragen. Aber für gewöhnlich ist dies nicht so. Nicht selten beträgt diese sogar deutlich unter acht Stunden. Es entstehen immer wieder Zeiträume, welche ich flexibel nutzen kann und mit allerlei Aktivitäten fülle. Dinge, die mir wie gesagt guttun. Wie würde ich für diese künftig noch Zeit haben?