Über die letzten Monate war viel geschehen: Eine schwerwiegende Erkrankung und ein Krankenhausaufenthalt, der Umzug von IPA in die neue Immobilie samt Übergabe der alten, der Auszug aus meiner Wohnung und wenig später ein Beziehungsende. Pünktlich zum Sommer 2024 stand ich mit einer auf beinahe allen Ebenen veränderten Lebenssituation da.
Nun, da ich die Entscheidung getroffen hatte, künftig betriebswirtschaftlich mit deutlich härteren Realitäten konfrontiert zu sein, musste ich anfangen, IPA anders zu denken, zu fühlen und zu leben. Die ursprünglich aus einem Hobby und einer Leidenschaft entstandene Idee, daraus meinen Beruf zu machen, hatte sich verwirklicht. Doch bei IPA1 war sie stets auf kleinem Niveau geblieben. Die Begrenzung der alten Räumlichkeiten ließ kein großes Wachstum zu, aber auch die geringen Kosten erforderten kein besonderes ökonomisches und geschäftliches Vorgehen meinerseits.
Nun war es anders: Monatlich würden etwa 7.500 € an Kosten anfallen. IPA machte damals weniger als die Hälfte dieses Betrags an Einnahmen. Die Differenz zu den Ausgaben musste geschlossen werden – schnellstmöglich. Ich hatte genug Kapital angeschafft, um eine gewisse Zeit lang im Minus und mit monatlichen Verlusten überleben zu können. Die Frage war: Würde ich es schaffen, den Break-even-Point zu erreichen, ehe das Geld aufgebraucht war?
Zum damaligen Zeitpunkt war IPA keine zwei Jahre alt. Ich hatte also zwar schon einige Erkenntnisse gesammelt, aber nichts, was man als große Erfahrungswerte bezeichnen konnte. Insbesondere an Langzeiterfahrung und daraus resultierender Weitsicht mangelte es mir, auch wenn ich mir stets größte Mühe gab, wohlbedacht und vorausschauend zu handeln. Doch gewisse Dinge konnte ich einfach noch nicht wissen – etwa saisonbedingte Schwankungen. Dazu kam es im Sommer 2024 ganz erheblich.
IPA wurde in einem Sommer eröffnet, im Juli 2022. Wir fingen klein an und wuchsen stetig. Aufgrund der Tatsache, dass wir gerade erst den Betrieb aufgenommen hatten, war es nichts Ungewöhnliches, dass oftmals sehr wenige Leute zum Training kamen. Das Team war einfach noch klein und zählte nur wenige Mitglieder – auch wenn diese Zahl stetig wuchs.
Im folgenden Sommer 2023 erlebten wir dann eine Zeit, die ich als Boom bezeichnen würde. Ich weiß noch genau, wie wir im August stets volles Haus hatten und die kleine Matte bis an ihre Grenzen brachten. Es verging kaum ein Tag ohne Probetrainings von Interessenten und jede Woche gewannen wir mindestens ein neues Mitglied. Was mir im Nachhinein nicht bewusst war und ich erst später feststellte, war, dass sich dieser Zustand keinesfalls über Wochen oder gar Monate konstant zeigte. Auch in diesem Sommer gab es viele Trainings mit geringen Teilnehmerzahlen. Viele der bereits vorhandenen Mitglieder blieben sogar wochenlang dem Training fern – was ja auch nachvollziehbar ist: es herrschte Urlaubszeit. Aber trotzdem hatte ich nie das Gefühl, dass es deshalb schlecht laufen würde – wie gesagt, die Zeit damals war definitiv ein Boom.
All das, insbesondere die nuanciertere Betrachtungsweise, war mir im Sommer 2024, als IPA2 an den Start ging, nicht wirklich bewusst. Für mich war es fast schon eine Katastrophe, als im Juni und Juli die Teilnehmerzahlen massiv einbrachen. So war es, dass wir oft sogar weniger Leute auf der Matte hatten, als ganz zu Anfang bei IPA1. Dafür hätten wir nun wirklich nicht umziehen müssen. Wofür sechsmal so viel Fläche (und siebenmal so hohe Kosten), wenn kaum noch wer zum Training kam? Wozu all dieses Risiko? Es machte mich beinahe verrückt. Ich hatte das Gefühl, dass alles drohte, den Bach runterzugehen. Gerade erst angefangen – und wenig später schon gescheitert. So fühlte es sich für mich an.
Auch wenn dies ein unangenehmer Zustand war, bei dem ich all meine Kraft zusammennehmen musste, um meine Haltung zu bewahren, gab es auch etwas Positives: Die wirtschaftliche Entwicklung war stabil. Wir waren über die Monate seit dem Umzug wie geplant gewachsen, und die anfangs erwähnte Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben wurde kleiner. Es würde bei gleichbleibendem Tempo zwar noch dauern, bis keine Verluste mehr gemacht würden, aber damit hatte ich gerechnet und geplant. Es war genug Kapital vorhanden. Aber eins kann ich jedem sagen, der das noch nicht erlebt hat, so wie ich damals: einen Haufen Geld auf dem Konto zu haben und diesen der Sonne ausgesetzten Eisberg Monat für Monat kleiner werden zu sehen, quasi dahin schmelzen – das stresst enorm.
Deshalb war jede Situation, die unangenehm war oder Stress verursachte, für mich plötzlich viel schwieriger auszuhalten. Öfter verlor ich beim Training die Fassung und maulte meine Leute an. Man kennt mich ja ohnehin als Coach, der streng sein und manchmal auch einen nicht unbedingt netten Ton wählen kann. Aber was ich mir da mehrmals leistete, ging über jede Grenze. Ich kann von Glück reden, dass der Großteil des Teams mich bereits länger kannte – mich also auch in einer freundlicheren Version erinnerte und Verständnis dafür hatte, dass meine Situation sehr belastend war und weniger schöne Seiten meiner Persönlichkeit zum Vorschein brachte. Ich weiß noch, dass ich häufig nach einem Training oder am nächsten Tag entschuldigende Worte an betroffene Personen schickte, denen gegenüber ich ausfallend geworden war. Ich danke jedem, der mich damals ausgehalten hat und es schaffte, mir mein Verhalten nicht persönlich zu nehmen.
In meiner Verzweiflung suchte ich Rat bei zwei meiner drei Mentoren, die mir bereits anderthalb Jahre zuvor wichtige Hinweise gegeben hatten. In diesem Fall konnten sie mir als erfahrene Akademiebetreiber ganz klar sagen: Das ist das Sommerloch. Das geht vorbei. Ich solle bis August bzw. September durchhalten, dann würde alles wieder normal werden. Die Leute kämen aus dem Urlaub zurück, die Ferien gingen vorbei, das Leben in den Städten würde wieder Fahrt aufnehmen – und viele neue Mitglieder würden kommen, da das im Spätsommer immer so sei. Was ich heutzutage auch einfach klar sagen kann - nachdem die beschriebene Zeit auch schon wieder fast anderthalb Jahre her ist –, ist, dass man mit Langzeiterfahrung allmählich eine Ruhe erlangt, welche man vorher so noch nicht haben kann. Die hätte ich damals gerne gehabt – aber um dahin zu kommen, muss man halt erstmal durch ein paar Stürme gehen.
Das mit dem Sommerloch ergab alles Sinn, auch wenn es mir schwerfiel, mich wirklich zu beruhigen. Sogar die Politik nimmt sich in diesen Monaten eine Auszeit und der Bundestag geht in die parlamentarische Sommerpause – warum also nicht auch der Alltag der Menschen? Darüber hinaus würden viele, die BJJ schon länger auf ihrer To-do-Liste hatten, nicht mitten im Sommer anfangen, sondern zum Ende oder Anfang des Herbstes. Ich fing an, den Rat zu verinnerlichen und erinnerte mich genauer an die beiden Sommer bei IPA1. Der Mensch neigt ja dazu, die Vergangenheit positiv zu erinnern und gegenwärtige Zustände im Vergleich als schlimmer zu empfinden. Vielleicht war meine Wahrnehmung einfach verzerrt.
Ich beschloss, weiterzumachen und durchzuhalten. Eine andere Wahl hatte ich ohnehin nicht, aber es tat gut, sich klarzumachen: Ich ziehe das jetzt durch. Schiefgehen konnte ja zunächst nichts – zumindest so lange, bis das Geld aufgebraucht war. Und bis das geschehen würde, war es – je nach Entwicklung, welche womöglich stagnieren oder schlimmstenfalls rückläufig werden könnte – noch bis zu einem halben Jahr Zeit. Die „Burning Rate“ war hoch und fühlte sich extrem unangenehm an, aber die geschäftliche Entwicklung war wie geplant positiv. Jetzt war es wichtig, sich auf Zahlen und Fakten zu konzentrieren, weniger auf Gefühle und Befürchtungen.
Wenig später, am 18. Juli 2024, feierte IPA seinen zweiten Geburtstag. Zum Training an diesem Abend kamen zwei Leute...