Meine Katze Ips ist seit etwas mehr als zwei Jahren Teil meines Lebens. Und seit einem Jahr auch von IPA, da sie nach dem Umzug von der alten in die neue Immobilie hier ihr zu Hause gefunden hat. 508 m² Fläche und eine regelmäßige Auslaufmöglichkeit waren dann doch deutlich attraktiver als meine kleine Wohnung ohne Freigang. Darüber hinaus ist sie hier Publikumsliebling – besonders im Kinderprogramm von Niklas ist sie außerordentlich beliebt – und wird von sehr vielen Menschen mit Aufmerksamkeit und Streicheleinheiten beschenkt.
Als sie letztes Jahr hier einzog, war klar, dass ich nicht verhindern können würde, dass sie rausgehen würde. Die Türen sind hier, besonders bei hohen Temperaturen, oft dauerhaft geöffnet. Darüber hinaus ist die Möglichkeit für sie spätestens nach 18 Uhr sehr attraktiv, weil sich ab dieser Uhrzeit der belebte Gewerbehof in eine Ruhezone verwandelt und eigentlich nur noch wir von IPA da sind, während alle anderen Normalarbeitenden bereits Feierabend gemacht haben. Schön war auch, dass sie stets erst die Akademie verließ, nachdem es bereits ruhig geworden war, die Autos (und LKW) nicht mehr fuhren und sie außerdem stets pünktlich nach Hause kam, nämlich spätestens dann, wenn bei IPA gegen 22 Uhr die Türen geschlossen werden.
Dies hat sich allerdings vor wenigen Wochen verändert – einhergehend mit dem bevorstehenden Sommer und einer spät untergehenden Sonne. Ips geht nämlich prinzipiell erst dann raus, wenn es dämmert – oft wartet sie sogar bis zur völligen Dunkelheit. Tagsüber bzw. bei Tageslicht geht sie partout nicht raus. Nur sind die Tage nun so lang geworden, dass sie oft erst gegen 22 Uhr das Haus verlässt und dementsprechend nicht rechtzeitig zurückkommt. So musste ich – wenn auch mit einem sehr mulmigen Gefühl – akzeptieren, dass sie über Nacht draußen bleiben und ich sie am nächsten Tag erst morgens wieder reinholen können würde. Dies funktionierte bisher ohne Probleme. Bis ich sie heute früh vorfand und schon von weitem erkennen konnte, dass sie nicht unversehrt war: eine schreckliche Augenverletzung zierte ihr Gesicht.
Der Anblick war natürlich im ersten Moment (und generell) schockierend. Und auch als Laie war mir sehr schnell klar, dass die Verletzung voraussichtlich katastrophal war und das Auge nicht würde gerettet werden können. Was mir jedoch auch auffiel, war, dass Ips zwar reichlich verstört wirkte, sich allerdings ansonsten normal bewegte. Sie machte nicht den Anschein, als hätte sie weitere Verletzungen, zum Beispiel Knochenbrüche durch einen Autounfall oder weitere offene Wunden durch einen Kampf mit einer Nachbarschaftskatze. Es wirkte tatsächlich so, als würde es schlimmer aussehen, als es war. Auch war sie immerhin nur auf einem Auge blind und konnte sich immer noch sehr gut orientieren – schließlich hatte sie nach Hause gefunden. Und selbst wenn es sich um eine komplette Blindheit gehandelt hätte – als Katze ist man sicherlich eine der besten Kandidaten für eine solche Behinderung, da der Geruchs-, Hör- und Fühlsinn so viel Navigationsfähigkeit bieten. Ich nahm sie in Empfang und beschloss, die Sache so gut es ging zu handhaben – praktisch wie emotional. Denn meiner Erfahrung nach stellt sich bei den schlimmsten Dingen, die einem im Leben geschehen, kurz darauf meistens heraus, dass es deutlich schlimmer hätte kommen können.
Mal abgesehen davon, dass ihr körperlicher Zustand deutlich schwerwiegender hätte sein können, war schnelle Hilfe möglich. Denn eine weitere gute Sache war, dass meine Tierärztin nur zehn Gehminuten entfernt war. Sofort rief ich dort an und konnte kurzfristig vorbeikommen. Das hätte auch anders sein können. Oder zum Beispiel auch, dass ich sie kurz vor Beginn des 10 Uhr-Trainings gefunden hatte, welches ich jedoch nicht spontan ausfallen lassen musste, sondern einer unseren anderen Coaches für diese Einheit eingeplant war. Auch das hätte schlimmer sein können. So packte ich Ips kurzerhand in ihre Transportbox und ging los. In der Praxis angekommen, wurde sie sogleich versorgt. Die Tierärztin warf nur einen Blick auf sie und bestätigte mir sofort meinen anfänglichen Gedanken: das Auge musste raus. Sie würde sofort operiert werden müssen.
Scheiße im Leben passiert. Oft unerwartet, oft schmerzhaft. Und manchmal eben mit heftigen Konsequenzen oder dauerhaften Schäden. lps hatte die letzten 12 Monate ein sehr schönes Leben mit Freigang gehabt und sicher viele spannende Abenteuer erlebt, die ihr als Wohnungskatze verwehrt geblieben wären. Nun wurde sie leider – so die Vermutung – von einem Hund gebissen und würde künftig nur über ein Auge verfügen. Aber ob sie das nach erfolgter OP und anschließender Heilung überhaupt noch merken würde? Als gut versorgte Hauskatze lebt es sich einfach und glücklich. Ob mit einem Auge oder zwei.
Manchmal sind die negativen Ereignisse auch sehr kostspielig. Auf der anderen Seite hätte auch das schlimmer kommen können. Als die Tierärztin am Computer alle Leistungen zusammenrechnete und ich währenddessen auf den Monitor schaute, graute es mir bereits beim Gedanken an die Endsumme. Einen Posten nach dem anderen fügte sie hinzu und der Gesamtbetrag erhöhte sich stetig. Aber letzten Endes handelte es sich beim Kostenvoranschlag nur um einen hohen dreistelligen Betrag. Ich hatte Angst vor einer deutlich höheren Summe und weiß aus Erzählungen auch, dass je nach Verletzung schon mal mehrere Tausend Euro zusammen kommen können. So musste ich mir nicht überlegen, wie ich dieses Geld aufbringen könnte, ohne mich (oder IPA, das immer noch kreditfinanziert ist) in existenzielle Not zu bringen. Sondern lediglich war die Frage, ob mein heiß ersehnter Sprachurlaub im Dezember möglich sein oder ich ihn ausfallen lassen müssen würde.
Für jenen Urlaub hatte ich bereits vor einiger Zeit angefangen zu sparen. Weil mir meine geschäftliche Situation aktuell lediglich einen bescheidenen Lebensstandard ermöglicht, welchen ich nicht weiter reduzieren können würde, hatte ich eingesehen, dass ich für meine geplante Zeit in St. Petersburg extra Einkommen generieren musste und wieder als Türsteher angefangen zu arbeiten. Einen Job, den ich früher sehr gerne gemacht habe, heutzutage aber keinen Spaß mehr dabei empfinde. Zumal ich gefühlt einfach zu alt für diesen Scheiß geworden bin. Aber egal – es ist relativ leicht verdientes Geld, nicht die langweiligste Arbeit und ich bin sehr gut darin. Und für die benötigte Summe, die mich mein Urlaub voraussichtlich kosten würde, würde ich ca. 20 Schichten arbeiten müssen. Ich setzte mir genau diese Anzahl als Ziel – keine mehr und keine weniger. Hiervon hatte ich bereits vier geschafft und auch, wenn es ärgerlich war, dass dieses Geld (und weiteres) nun für die Operation von Ips draufgehen würde, hätte es schlimmer sein können: ich hätte komplett unvorbereitet gewesen sein können.
Ob ich nun auf meinen Urlaub verzichten oder einfach noch mehr Schichten arbeiten werde, um mir sowohl diesen als auch die Operation zu finanzieren – das weiß ich aktuell noch nicht. Aber unterm Strich ist es alles halb so wild. Russisch werde ich auch nächstes Jahr noch lernen – seit 2019 kriegt mich davon kein Rückschlag ab. Nach meinem wunderschönen Moskau–Urlaub im Dezember 2024 hatte ich geplant, zur Verbesserung meines Niveaus künftig jedes Jahr eine Reise in ein russischsprachiges Land zu unternehmen und dort Sprachurlaub zu machen. Notfalls würde das dieses Jahr ausfallen. Aber meistens kommt alles besser, zumindest nachdem etwas Zeit vergangen ist. Und wenn man es mal ganz nüchtern berechnet und die Tierarztrechnung durch die Anzahl der 26 Monate, die Ips mir bisher mein Leben verschönert hat, teilt, kommt man auf einen niedrigen bis mittleren zweistelligen Betrag pro Monat. Das ist mir diese Katze sowas von wert. Wenn ich bedenke, wie viel Positives ich durch sie erhalte, sind die Kosten vergleichsweise gering.
So schockierend ihr Anblick heute früh auch gewesen war – irgendwie war ich mich sehr schnell sehr sicher, dass alles gut werden würde. Der Vorteil steigender Lebenserfahrung ist auf jeden Fall, dass man einfach schon einiges erlebt, durchlebt und überlebt hat. Auch wenn Ips jetzt sicher erstmal einige Zeit zur Erholung braucht, gehe ich davon aus, dass sie danach wieder rausgehen und ihr Leben leben wird. Und wahrscheinlich wird alles gut gehen und so etwas wie heute niemals wieder passieren.
Es scheint mir jedoch tatsächlich auch so, als würde sie sich, statt sich an ihre neuen Lebensumstände zu gewöhnen, eher über ihre Halskrause aufregen. Die scheint wohl deutlich schlimmer zu sein als der Fakt, dass sie heute ihr rechtes Auge verloren hat. Sie wirkt nicht, als würde ihr etwas fehlen oder sie etwas vermissen. Während ich diesen Artikel zu Ende schreibe, liegt Ips schnurrend neben mir und erholt sich von der Narkose, von welcher sie immer noch etwas benommen ist. Bei ihrem torkelnden Anblick kann ich nicht anders, als die Sache auch mit einer gewissen lustigen Gelassenheit zu nehmen. Betrunkene Katzen in Halskrausen sind einfach witzig.